Wer mit offenen Augen durch Alt- und Innenstädte geht, kehrt zwischenzeitlich schon einmal frustriert zurück. Das Beispiel Miltenberg zeigt: Es ist höchste Zeit mehr zu tun. Von allen Beteiligten.
Miltenberg ist ein herrliches kleines Städtchen. Sagen nicht nur Einheimische sondern auch alle Gäste, die man durch unsere genauso kompakte wie charmante Altstadt führt. Ich selbst bin da der Klassiker: Nimmt man erst dann wahr, wenn man es mal eine Weile nicht hatte. Miltenberg war für mich früher halt unsere Kreisstadt, in der man ein wenig mehr hat als auf dem Dorf. Mehr nicht.
Inzwischen bin ich ein wenig verknallt in meine neue Heimat. Aus vielen kleinen Gründen und ganz generell, weil hier zu wohnen so perfekt in die aktuelle Lebensphase mit junger Familie passt. Und an dieser Stelle könnte der Text in Wohlgefallen enden. Kann er aber nicht. Und das hat einen Grund. Denn nächster Klassiker: Jetzt wo ich es zu schätzen gelernt habe, würde ich es ungern verlieren. Und die Gefahr sehe ich ohne zu dramatisieren.
Zugegeben: Zunehmender Leerstand durch Schließungen ist jetzt kein Problem, das Miltenberg ansatzweise exklusiv hat. Dass das so ist, macht es für mich aber nicht besser. Denn wenn uns das eines sagt, dann dass die Gründe vielfältig, groß und grundsätzlicher Natur sind. Es mag teilweise an speziellen Miltenberger Gegebenheiten liegen, an vielen Stellen aber auch nicht. Denn Land auf, Land ab gibt es Städte, in denen sich derartige Bilder mehren:
Die ernüchternden Zahlen für Miltenberg: Die Strecke vom Würzburger Tor zum „Schnatterloch“ beträgt relativ exakt 1000 Meter. Am 1.11. zählte man auf diesem Weg mindestens 14 Leerstände entlang des Fußwegs/der Fußgängerzone. Also deutlich mehr als einen pro 100 Meter. Nur gut sichtbare entlang der zentralen Straße. Das gesamte „Schwarzviertel“, Seitenstraßen, Etagen über Erdgeschoss etc. also nicht mitgerechnet. Es braucht keinerlei Fantasie, um zu wissen, dass das die Zahlen massiv in die Höhe getrieben hätte. Schockierend, oder?
Wie ist die Rolle der Stadt?
Was auch auffällt. Hinter den Aushängen „zu vermieten“ oder „zu verkaufen“ stehen unterschiedlichste Kontakte – mal Immobilienmakler, mal Privatleute. Und: In vielen Schaufenstern stehen Aufsteller, sogenannte Roll-Ups, der Stadt Miltenberg. Darauf vor allem Werbung für Stadtmarketing und den Zusammenschluss „Drei am Main“. Persönliche Meinung: Ich werde nie verstehen, wie diese Werbemittel so beliebt werden konnten und rede sie meinen Chefs und Auftraggebern seit Jahren aus. Auch hier empfinde ich sie nicht unbedingt als Aufwertung des Stadtbilds. Trotzdem sind sie ein Hoffnungsschimmer.
Denn dass sie dort stehen lässt keinen Zweifel: Die Stadt ist mit dem Problem befasst und hat auch eine Möglichkeit aktiv tätig zu werden. Das gibt mir persönlich ein gutes Gefühl, denn letztlich glaube ich, dass der Trend zum Aussterben von Städten nur mit einem klaren politischen Bekenntnis und entsprechenden Weichenstellungen umzukehren sein wird. Und so banal das vielleicht klingt: Roll-Ups in einem Schaufenster sagen mir, dass es Kontakt zwischen der Stadt, ihrer Verwaltung und denen gibt, deren Immobilien gerade leer bleiben. Und das ist sicher ein erster guter Ansatzpunkt, um das Problem zu lösen.
Und weil ich glaube, dass die Stadt bereits sehr viel tut, worüber wir reden und wobei wir sie unterstützen können, habe ich am Tag nach meinem Spaziergang auch eine Mail mit Fragen zum Thema an sie geschrieben. Verständlicherweise blieb diese bis dato noch unbeantwortet.
Alle müssen mit anpacken
Die schweren Herausforderungen allein auf die Stadt und ihre Akteure abzuschieben wäre aber natürlich der vollkommen falsche Ansatz. Gefragt sind natürlich auch die Gewerbetreibenden selbst – und wir Kunden. Denn das Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ wird leider auch hier nicht zum Erfolg führen. Übersetzt: Wir können nicht einerseits gerne weiter eine schöne, belebte Innenstadt wollen, andererseits aber wegen jeder noch so kleinen Ersparnis an Geld oder Zeit online statt lokal kaufen. Diese Rechnung kann und wird nicht aufgehen. Wie auch?
Und die Gewerbetreibenden selbst? Schwieriges und oft emotionales Thema, denn ganz sicher kämpfen diese mit allem was sie haben oder haben es getan, bis sie schließen mussten. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es in vielen Fällen – sicher nicht in allen – den rosa Elefanten im Raum gibt: Ohne Anpassung und ja, auch Innovation, wird es nicht gehen. Ein seit Generationen etablierter Name mit entsprechendem Angebot ist eine überragende Ausgangsvoraussetzung, aber keine, die ewiges erfolgreiches Geschäftsleben verspricht.
„Digitaler Leerstand“ als Vorbote?
Sehr plakativ ausgedrückt: Der digitale Leerstand und Sanierungsbedarf sind weniger offensichtlich, für mich aber nicht weniger frustrierend als der ersichtliche in „der echten Welt“. Vielleicht ist es auch genau dieser Blickwinkel, der Teil des Problems ist. Denn ist diese vermeintlich nicht reale Welt für viele nicht längst präsenter als die echte? Sind Einkaufserlebnisse nicht für viele inzwischen vollständig digital – oder starten, wenn sie es nicht sind, digital?
Es ist heute möglich auch kurze Einkäufe von zuhause aus perfekt vorzuplanen und viele tun es aus verständlichen Gründen aus. Check der Angebote in der Supermarkt-App, Check der Öffnungszeiten der Apotheken. Kriegen wir da noch einen Friseurtermin unter? Zack, online vereinbart. Das ist längst kein Auszug aus einem Science-Fiction-Roman oder nur die Lebensrealität für Menschen, die 40 oder jünger sind, mehr. Und an diesem ausgedachten Beispiel lässt sich erklären worum es oft geht: Nicht in erster Linie um das Sparen von Geld, sondern darum mit den eigenen Ressourcen ideal umzugehen. Weil es möglich ist. Deshalb besteht ein Informationsbedürfnis nach „Wo kann ich wann was bekommen?“ Und erfahre ich das nicht, ist der Onlinekauf eben nicht nur monetär wirtschaftlicher sondern er spart massig Zeit und Nerven.
Auch von Berufswegen bekomme ich an der Stelle Magengrummeln: Denn die Quote derer, die auch Ende 2023 noch keinen oder keinen nennenswerten Onlineauftritt (wenigstens ein gepflegtes Google-Profil mit Öffnungszeiten) ist verblüffend. „Die Leute kennen uns und unser Angebot“ gilt leider nicht mehr. Das positive daran: Es gibt auch hoffnungsvolle Beispiele dafür, wie ein überarbeitetes Angebot, authentische digitale Kanäle und sonstige Maßnahmen dabei helfen können, ein erfolgreiches Gewerbe mitten in der Stadt aufzubauen. Von diesen Beispielen sollten wir alle lernen anstatt die Flinte ins Korn zu werfen.
23/7 will helfen
Denn in einer Diskussion auf Facebook schrieb ein User kürzlich: „Wäre schön wenn es anders wäre…. Ich denke nicht, dass der Trend umkehrbar ist.“ Und ehrlich: Es wäre doch schade, wenn wir tatsächlich einfach kapitulieren würden.
Das nicht zu tun ist jedenfalls Teil der Motivation hinter 23/7 und wird hoffentlich irgendwann auch Teil der Gründungsgeschichte. Jedenfalls habe ich neben der Mail an die Stadt auch versucht mich halbwegs konstruktiv an der Diskussion zu beteiligen, die unter meinen Beiträgen entstanden ist und auch bereits Kontakt zu erfolgreichen Gewerbetreibenden und sonstigen Akteuren aufgenommen, um das Problem bzw. die Probleme besser zu verstehen und über mögliche Lösungsansätze nachzudenken.
Wenn Euch das Thema genauso beschäftigt, meldet Euch gern. Ich würde mich freuen, wenn wir dran bleiben und noch mehr, wenn wir es sogar schaffen sollten, Gegenmaßnahmen anzustoßen.